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Von Lobpreisung bis Verdammung – Reaktionen auf den Tod von Wolfgang Schäuble

Vom "großen Kämpfer für die Demokratie" und "leidenschaftlichen Europäer" bis hin zu "die Geschichte wird ihn nicht günstig beurteilen" – die Sicht auf Wolfgang Schäuble fällt sehr unterschiedlich aus. Vor allem außerhalb Deutschlands ist sie eher kritisch.
Von Lobpreisung bis Verdammung – Reaktionen auf den Tod von Wolfgang SchäubleQuelle: www.globallookpress.com © Jörg Carstensen

Die Äußerungen deutscher Politiker, die wiedergegeben werden, überschlagen sich vor Lob für den verstorbenen Wolfgang Schäuble.

Das Finanzministerium, das er zwei Legislaturperioden lang geleitet hatte, twitterte: "ein leidenschaftlicher Europäer, ein kluger Finanzminister und ein großer Kämpfer für die Demokratie." Ins selbe Horn stieß auch Außenministerin Annalena Baerbock:

"Kaum ein Politiker hat die jüngste deutsche Geschichte und unsere demokratische Kultur so geprägt wie Wolfgang Schäuble. Und sich derart verdient gemacht um die deutsche & europäische Einigung."

Der gleiche Tonfall findet sich bei Politikern verschiedener Bundesländer. Der sächsische Innenminister Armin Schuster schrieb: "Seitdem ich Politik mache, war Wolfgang Schäuble immer die Instanz für mich, wie ein guter Europäer bestmöglich seinem Land dient." Die sächsischen Grünen: "Er war leidenschaftlicher Demokrat, ein großer und stets fairer Geist und einer der Architekten der Deutschen Einheit und Europas."

Der SPD-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, Jochen Ott: "Er war so lange in der Politik, wie ich denken kann. Immer streitbar. Immer aufrecht. Immer Demokrat." Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte ihn schon zu seinem 70. Geburtstag "einen Architekten der deutschen Einheit, einen Architekten des Regierungsumzugs und derzeit einen Architekten einer stabilen Eurozone" genannt.

Einzig der Nachruf auf RTL erwähnt auch Kritisches über Schäuble, aus dem Munde eines langjährigen Parlamentsreporters:

"Er wusste viel und ließ das auch alle wissen. Und er konnte extrem ungeduldig sein, wenn Dinge, auch organisatorisch, nicht so liefen, wie er es wollte.Ein Lied davon singen konnte sein ehemaliger Sprecher Michael Offer, den er wegen ein paar nicht verteilter Tabellen für die Journalisten vor der versammelten Hauptstadtpresse gedemütigt hatte."

Der österreichische Standard erwähnt die Familienzusammenhänge Schäubles:

"Schon Vater Karl Schäuble war CDU-Politiker und gehörte dem Badischen Landtag an. Schäubles jüngerer Bruder Thomas war ebenfalls Politiker, 13 Jahre lang war er Landesminister in Baden-Württemberg. 2013 starb er an den Folgen eines Herzinfarkts. Der CDU-Spitzenpolitiker Thomas Strobl war Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble, Tochter Christine, die ARD-Programmdirektorin, Strobls Ehefrau."

Die spanische Zeitung El Mundo nennt ihn den "Schattenkanzler" der Wiedervereinigung; Schäuble sei als Innenminister federführend bei der Gestaltung des Einigungsvertrages gewesen.

In der europäischen Presse ist Austerität der Begriff, der am engsten mit Schäuble verbunden wird, und es finden sich weit mehr kritische Töne als in den deutschen Medien. So schreibt der französische Figaro, Schäuble habe seine Austeritätspolitik in Deutschland betrieben, "ohne sich je um öffentliche Investitionen zu kümmern, unter der Gefahr, die Infrastruktur von Telekommunikation und Transport in einem bedauernswerten Zustand zu lassen." Der italienische Corriere della Sera zieht dieses Fazit seiner Rolle in der Eurokrise:

"Und es lag eher an Angela Merkels Vermittlungsfähigkeiten und ihrem Wunsch, Europa vereint zu halten – und auch an der Achse mit der EZB, die damals von Mario Draghi geleitet wurde – dass Griechenland an den Zug des Euro angekoppelt blieb. Wegen seiner Rigorisität – die jedoch immer von enormem technischem Wissen und großen politischen Fähigkeiten begleitet wurde – wurde er in vielen südeuropäischen Ländern als Gegner gesehen, und im zunehmenden kontinentalen Populismus beinahe als 'Feind'. Titel, mit denen er vermutlich kein Problem hatte."

Die spanische El País charakterisiert ihn wie folgt:

"Jenseits der deutschen Grenzen verkörperte der langjährige CDU-Politiker im Gefolge der Wirtschaftskrise, die in Europa 2008 begann, vollkommen die Härte der strikten deutschen Austeritätspolitik innerhalb der Europäischen Union, die zu harschen Programmen der Einschnitte bei öffentlichen Ausgaben führte, und zu Griechenlands Bailout."

Die Zeitung erinnert aber auch an seine persönlichen Rückschläge:

"In seiner Karriere erlebte Schäuble zwei politische Niederlagen, die sein Leben zeichneten: nach dem Ende der Amtszeit Helmut Kohls nicht Kanzler zu werden, und unter der Kanzlerschaft Merkels nicht Bundespräsident, eine doppelte Tragödie in seiner Karriere."

Es erstaunt nicht, dass die schärfsten Kommentare aus Griechenland zu vernehmen sind, dem Land, das am stärksten unter den von Schäuble erdachten Sparmaßnahmen leiden musste. Die Reaktion des damaligen griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis beschreibt der österreichische Standard:

"Schäuble 'verkörperte den explosiven Widerspruch, der sowohl zur Euro-Krise als auch zu den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung führte – Maßnahmen, die einerseits zur Verarmung Griechenlands und andererseits zur aktuellen Deindustrialisierung Deutschlands sowie Europas Abgleiten in die geopolitische Bedeutungslosigkeit führten', hieß es in einem Statement."

Noch deutlicher wurde sein Amtsnachfolger und jetziger Europaabgeordnete Efklidis Tsakalotos in der griechischen Kathimerini:

"Wir müssen gerecht und streng sein. Die Geschichte wird ihn nicht günstig beurteilen. Er war ein Staatsmann, der die Eurogruppe über zu viele Jahre dominierte. [Schäuble] wollte eine politische Union Europas, aber nur für gewisse Länder. Sein Traum war eine politische Union für die Wenigen. Es gibt keine Zweifel, dass er auch zu seinem eigenen Volk grausam war und als Finanzminister große Ungleichheiten schuf. Aber er war auch gerissen."

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