Meinung

Montenegro nach den Wahlen: Der Sturz des letzten Autokraten auf dem Balkan

Der langlebigste Herrscher des Balkans, auf dem Thron als Präsident, Verteidigungsminister oder Premierminister, Milo Đukanović, verlor am vergangenen Wochenende im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Montenegro gegen den Anführer der Bewegung "Europa Jetzt", Jakov Milatović. Dies gilt als wahres Debakel für Đukanović.
Montenegro nach den Wahlen: Der Sturz des letzten Autokraten auf dem BalkanQuelle: Legion-media.ru © UPI

Von Marinko Učur

Die Bürger Montenegros warteten ganze 33 Jahre auf Veränderungen. Sie waren hartnäckig, und endlich ist es dazu gekommen, dass der langlebigste Herrscher des Balkans, auf dem Thron als Präsident, Verteidigungsminister oder Premierminister, Milo Đukanović, endlich die Macht verliert. Und er verlor sie am vergangenen Wochenende im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl gegen den viel jüngeren und für die Bürger attraktiveren Anführer der Bewegung "Europa Jetzt", Jakov Milatović. Die Niederlage von Đukanović war mehr als überzeugend: 60 Prozent zu 40 Prozent. Wenn man bedenkt, dass Đukanović in früheren Wahlzyklen bereits in der ersten Runde gewonnen hatte, gilt dies als wahres Debakel für den derzeitigen montenegrinischen Präsidenten.

Đukanović: Drei Jahrzehnte des Umherirrens und der Teilung

Die Regierung von Đukanović begann aber schon viel früher "auseinanderzufallen", als seine Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) bereits bei den im August 2020 abgehaltenen Parlamentswahlen eine Niederlage erlitt und auf die Oppositionsbänke ging. Von da an bis heute verlor Đukanović nacheinander die wichtigsten Hebel der Macht, und schließlich verlor er am Sonntag, den 2. April, definitiv das Vertrauen jener Bürger, die ihn und seine Partei in den letzten Jahrzehnten gewählt hatten.

Früher ignorierten sie die zahlreichen Vorwürfe der Korruption, des Tabakschmuggels und des Machtmissbrauchs, während er sich das Bekenntnis zu "europäischen Werten" und zur NATO-Mitgliedschaft zu eigen machte. Seine politischen Gegner kritisierten ihn am meisten dafür, dass er Montenegro ohne Referendum in die westliche Allianz geführt und jede Gelegenheit genutzt hatte, um das Land von Moskau und Belgrad abzuwenden und sich bei seinen westlichen Sponsoren einzuschmeicheln, die seine Korruption und Verbrechensvorwürfe tolerierten.

Nicht selten war Đukanović der Anführer haltloser Anschuldigungen gegen Serbien und Russland, die er regelmäßig als Störfaktor auf dem Balkan ins Visier nahm. Ihm zufolge habe Russland einen hybriden Krieg gegen Montenegro geführt, während Serbien in der Regel als "Sündenbock" für all jenes angeprangert wurde, was Đukanović als Hindernis für seine uneingeschränkte Macht erkannte. Aber es scheint ihn besonders gekostet zu haben, dass er sich gegen die einzige anerkannte kanonische Kirche in Montenegro, die Serbisch-Orthodoxe Kirche, wandte, zu der er sogar versuchte, eine Alternative in Form einer nicht anerkannten, sogenannten kanonischen "Montenegrinisch-Orthodoxen Kirche" zu schaffen.

Diese Organisation, die bei der Polizeistation registriert ist, lebt heute vom montenegrinischen Nationalismus und hat eine vernachlässigbare Anzahl an Unterstützern. Alles erinnert unweigerlich an die aktuelle Lage in der Ukraine und Selenskijs Vorgehen gegen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche unter der Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats. Bürger in Montenegro ziehen oft eine Parallele zwischen den beiden Fällen und erklären, dass Milo Đukanović und sein "Kirchenprojekt" ein Vorbild für die Handlungen ukrainischer Behörden waren, die wir in den letzten Tagen gesehen haben.

Was ist also am Sonntag, den 2. April, passiert?

"Es ist etwas passiert, was wir angekündigt haben, die politische Demontage des 33-jährigen Regimes von Milo Đukanović ist passiert", antwortet der Politikwissenschaftler und ehemalige Politiker aus Podgorica, Vladimir Pavićević, kurz.

Ähnlich sehen es andere Kenner der Lage in Montenegro, dem kleinen Balkanstaat mit seinen knapp 600.000 Einwohnern.

Was ist vom neuen Präsidenten Jakov Milatović zu erwarten?

"Wir erwarten, dass er Montenegro aus der tiefen Krise führen wird, in der es sich vor allem wegen der autokratischen Herrschaft des ehemaligen Präsidenten und seiner blinden Unterwürfigkeit gegenüber denen, die in den letzten Jahrzehnten auf dem Balkan ihre Geschäfte treiben, befindet", fügt Pavićević hinzu.  

Milo Đukanović hat die Niederlage offensichtlich schwer getroffen, er gratulierte dem Sieger, wohl wissend, dass seine weitere politische Karriere in Frage gestellt ist. Ziemlich sicher ist aber, dass er bei den anstehenden außerordentlichen Parlamentswahlen, die er kurz vor den Präsidentschaftswahlen anberaumt hat, als Parteivorsitzender antreten und voraussichtlich als Abgeordneter ins Parlament einziehen wird. Viele erkannten darin seine Schwäche und sahen voraus, dass es ihm schwer fallen würde, den jungen Gegner Jakov Milatović zu besiegen. Auf diese Weise wird Đukanović zumindest für eine Weile mögliche Strafverfolgungen und die ihm auferlegte Verantwortung aufgrund zahlreicher Affären im Zusammenhang mit seinem Namen "überleben".

Auf der anderen Seite ist sich der neue Präsident des Landes, obwohl er mit seinen 36 Jahren nun den heißen Präsidentenstuhl besetzt, seiner Herausforderungen bewusst ‒ er hat es nämlich nicht versäumt, seine Anhänger und Bürger davon zu überzeugen, dass er in seiner fünfjährigen Amtszeit als Präsident "Montenegro in die Europäische Union führen" wird.

Europa jetzt (sofort) oder Europa, wenn Brüssel darüber entscheidet

Schließlich heißt seine Fraktion "Europa Jetzt", also steht fest, dass seiner Arbeit eine echte europäische Geschichte zugrunde liegen wird, von der Montenegro noch weit entfernt ist. Sofern es einen Schritt in Richtung europäische Zukunft geben wird, werden die Brüsseler Bürokraten sicherlich die gesamte Westbalkanregion ganzheitlich behandeln, und keineswegs das kleine Montenegro im Besonderen. Übrigens wurde Milatović der breiten Öffentlichkeit bekannt, als er im Kabinett des ehemaligen Ministerpräsidenten Zdravko Krivokapić bis zum Sturz dieser Regierung im Februar letzten Jahres als Minister für Wirtschaftsentwicklung tätig war.

Er hat eine beneidenswerte Ausbildung an ausländischen Universitäten absolviert. Als Stipendiat der britischen Regierung erwarb er einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oxford und leitete in seinem Heimatland als Minister ein Projekt, das den Mindestlohn in Montenegro von 250 Euro auf 450 Euro anhob und ihn dadurch auf jeden Fall für die Rolle des Präsidentenmandates "empfahl".

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