Meinung

Wolfgang Bittner: Steinmeier sorgt sich um die Lage in China und der Ukraine

Der deutsche Bundespräsident sorgt sich – um die Lage in China und der Ukraine. Aber sorgt er sich auch um die Lage in Deutschland? Etwa um die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit hierzulande? Das fragt der Schriftsteller und Autor Wolfgang Bittner.
Wolfgang Bittner: Steinmeier sorgt sich um die Lage  in China und der UkraineQuelle: www.globallookpress.com © Bernd von Jutrczenka/dpa

Von Wolfgang Bittner

Den deutschen Bundespräsidenten erfüllt "die Lage in China mit tiefer Sorge" und ebenfalls die Lage in der Ukraine – so Frank-Walter Steinmeier am 28. November in einem Interview mit der Deutschen Welle. Ob er sich um die Lage in Deutschland sorgt, ist unbekannt. Bekannt ist allerdings, dass Steinmeier sich als Atlantiker versteht und ein NATO-Propagandist ist. 

Insofern reagierte er mit Verständnis auf die Proteste in China gegen die dortige Corona-Politik, worüber viel berichtet wurde. Und erklärte:

"Die Bilder, die uns aus Peking und mehreren chinesischen Städten erreichen, bewegen mich."

Als Demokrat könne er nur sagen:

"Die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein wichtiges Gut. Und ich kann das, was wir sehen, nur mit der Hoffnung verbinden, dass die staatlichen Behörden in China dieses Recht der Meinungsäußerung, der Demonstrationsfreiheit achten."

Dass Steinmeier die zunehmende Unterdrückung der Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit in Deutschland bewegt, kann freilich bezweifelt werden. 

Auch die Sorge um die ukrainische Bevölkerung treibt den Bundespräsidenten um:

"Wir haben gesehen, was auf die Menschen in der Ukraine zukommen könnte: Not, Dunkelheit und Kälte."

Er verurteilte die Angriffe Russlands auf Zivilisten und auf die Gas- und Stromversorgung in der Ukraine, und sagte:

"Ich glaube, das ist ein Teil der Kriegsstrategie, die wir hier sehen. Wir haben nicht nur einen brutalen Angriffskrieg, der militärisch geführt wird gegen die ukrainische Armee. Sondern wir haben – und das wird sichtbarer, je näher wir dem Winter kommen – einen brutalen Angriff auf kritische Infrastruktur und damit natürlich auf die Zivilbevölkerung."

Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Kiew und Moskau hält Steinmeier trotz der Eskalation des Krieges mit zigtausend Toten derzeit für "wenig sinnvoll":

"Alle Empfehlungen, jetzt einen Waffenstillstand zu machen, sind natürlich leichtfertig, weil ein Waffenstillstand zu diesem Zeitpunkt das absegnen würde, was an Unrecht schon stattgefunden hat. Ein Waffenstillstand jetzt würde bedeuten, dass Russland besetztes Gebiet für sich behält. Und damit die Grenzverletzungen, die Missachtung des Völkerrechtes und der Landraub auch noch abgesegnet wird."

Damit befindet sich Steinmeier im Einvernehmen mit Washington und dementsprechend mit der ukrainischen Regierung. Ihn erfüllt tiefe Sorge "über die Lage der Menschen im Kriegsgebiet", aber die Zeit für Gespräche ist nach seiner Meinung noch nicht gekommen. 

In demselben Interview begrüßte der Bundespräsident die Absicht des Deutschen Bundestages, den sogenannten Holodomor in der Ukraine als Völkermord anzuerkennen. Danach hat die Sowjetführung Anfang der 1930er-Jahre Millionen Menschen systematisch verhungern lassen. Dass weite Teile der Sowjetunion, also nicht nur die Ukraine, von einer Hungersnot betroffen waren und die von der ukrainischen Regierung propagierte Sichtweise geschichtswissenschaftlich höchst umstritten ist, scheint Steinmeier nicht zu interessieren.

Offensichtlich ist dem Bundespräsidenten alles recht, was Russland provoziert und dessen Ansehen in der Welt schädigt. Zum "Holodomor" (einem Begriff, der Assoziationen an den Holocaust auslösen soll) hat Steinmeier eine eigene Interpretation:

"Es war die bewusste Strategie in den Jahren 1932 und 1933 des Stalin-Regimes, Teile der Bevölkerung der damaligen Sowjetunion hungern zu lassen."

Er sei "sehr, sehr dankbar", so betonte er, dass sich das deutsche Parlament – im Sinne der ukrainischen Geschichtsauslegung – mit dieser Sache befasse. 

Der Ukraine-Krieg kann also sowohl auf dem Schlachtfeld als auch propagandistisch weitergehen, Diplomatie ist für den früheren Außenminister, aber auch für die Atlantiker im Bundestag und in den EU-Gremien, nicht angesagt. Im Gegenteil, es wird gewissenlos gehetzt, provoziert und Kriegspropaganda betrieben. Dabei wirken die deutschen Medien kräftig mit, indem sie tagtäglich berichten, das russische Militär greife erbarmungslos Einrichtungen der zivilen Infrastruktur der Ukraine an, wodurch die Bevölkerung in eine "grausame Notlage" gebracht werde. 

Am 23. November 2022 hat deswegen das EU-Parlament Russland mit einer Mehrheit von 494 (von 705) Abgeordneten wegen "vorsätzlichen Angriffen und Gräueltaten" gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu einem "Terrorstaat" erklärt – ein weiterer Schritt in die Eskalation.

Wie scheinheilig und verfehlt diese Politik und Medienpropaganda ist, wird schlaglichtartig deutlich, wenn man dazu eine Stellungnahme des ehemaligen Pentagon-Beraters Colonel Douglas Macgregor zur Kenntnis nimmt. In einem beachtenswerten Interview sagte er unter anderem:

"Wir reden immer von ziviler Infrastruktur. Aber wenn du im Krieg bist und das Stromnetz versorgt deine Armee, und du [die russische Armee] zerstörst das Stromnetz, dann nicht, weil du der Bevölkerung schaden willst. Sondern du versuchst, das Militär vom Zugang zu Energie abzuschneiden. Also sollten wir eines verstehen: Die Russen haben nicht absichtlich Zivilisten als Ziel ausgewählt – umgekehrt jedoch gibt es eine Menge Beweise, dass der amerikanische HIMARS-Raketenwerfer von den Ukrainern wissentlich zum Angriff auf Zivilisten in Donezk, Lugansk, der Krim und anderen Orten eingesetzt wurde. Darüber redet keiner, weil ja die Ukraine immer makellos, demokratisch und perfekt ist, und Russland böse, autoritär und fürchterlich. Aber in Wahrheit bietet die ukrainische Seite keinen schönen Anblick." 

In den deutschen Medien wurde darüber nicht berichtet. Auch nicht über den Paradigmenwechsel in der Einschätzung des Ukraine-Krieges auf westlicher Seite, den kein Geringerer als der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der USA, General Mark Milley, einleitete, als er am 10. November 2022 in einem Interview in der New York Times – entgegen der Politik Joseph Bidens – zu Verhandlungen mit Russland aufrief. Die NachDenkSeiten kommentierten:

"Mehr als die Russen fürchtet er offenbar die Inkompetenz und Hybris der Bidens, Blinkens, Nulands, Selenskijs und Baerbocks dieser Welt."

Ob Milley sich letztlich durchzusetzen vermag, bleibt abzuwarten.

Dieser Artikel wurde zuerst bei den NachDenkSeiten veröffentlicht: www.nachdenkseiten.de/?p=90995

Von Wolfgang Bittner ist 2019 "Der neue West-Ostkonflikt" erschienen und 2021 "Deutschland – verraten und verkauft".

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