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Warum Neuseeland das "schielende Auge" der sogenannten Five Eyes bleibt

Der Wohlstand Neuseelands hängt zu sehr von Peking ab, als dass man den anglophonen Exzeptionalismus seiner Verbündeten voll und ganz unterstützen könnte. Daher bleibt Neuseeland geopolitisch sowohl das eigenwilligste als auch das schwächste Mitglied im Lager der Angelsachsen.
Warum Neuseeland das "schielende Auge" der sogenannten Five Eyes bleibtQuelle: AFP © Jade Gao / POOL / AFP

Von Timur Fomenko

Diese Woche stattete Neuseelands Premierminister Chris Hipkins China einen offiziellen Staatsbesuch ab. Es war sein erster seit seinem Amtsantritt als Nachfolger von Jacinda Ardern, die zu Beginn dieses Jahres zurückgetreten ist.

Bei diesem Besuch wurden zahlreiche Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen den beiden Ländern unterzeichnet. Bemerkenswerterweise wies Hipkins die kürzlich erfolgte Bemerkung von Joe Biden zurück, Xi Jinping sei ein "Diktator" – was die Beziehungen zwischen China und den USA zusätzlich belastete, trotz des Besuchs von Antony Blinken in Peking Anfang des Monats. Im Gegenzug lobten chinesische Staatsmedien Neuseeland als "gutes Beispiel" dafür, wie westliche Länder ihre Beziehungen zu China gestalten sollten.

Neuseeland ist Mitglied der sogenannten Five Eyes (fünf Augen), einem von den USA geführten Abkommen zum Austausch nachrichtendienstlicher Informationen, das sich aus jenen Nationen zusammensetzt, die als "Anglosphäre" bekannt ist und zu der auch Australien, Kanada und das Vereinigte Königreich gehören. Aber Neuseeland ist das "schielende" Auge dieser Allianz, das nicht zusammen mit den anderen Augen in dieselbe Richtung schaut, sondern in eine eigene. Obwohl es nach dem diesjährigen G7-Gipfel zusammen mit Japan seinen Namen unter eine Erklärung setzte, in der Chinas "wirtschaftlicher Zwang" verurteilt wurde, tauchte Neuseelands Regierungschef kurz darauf in Peking auf, um den Handel mit China anzukurbeln. Das mag merkwürdig erscheinen, wenn man bedenkt, dass das benachbarte Australien, trotz seiner ebenso erfolgreichen wirtschaftlichen Beziehungen zu China, eine offen aggressive Rhetorik gegen Peking pflegt und leidenschaftlich proamerikanisch ist.

Neuseeland unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Rest der Gruppe. Das Land ist das bevölkerungsärmste, das am dünnsten besiedelte und das pazifistischste aller Five-Eyes-Staaten. Während die Außenpolitik der anderen vier Länder bis zum Rand mit ideologischem Chauvinismus, einem Anspruch auf Exzeptionalismus und einem historischen Triumphalismus bepackt ist, sieht sich Neuseeland weniger eng mit dieser Identität verbunden. Dies liegt daran, dass das Land durch den Einfluss des Volkes der Maori einen großen Teil seiner Identität von vor der Zeit der Kolonisierung bewahrt hat, was es zu einem englischsprachigen Land mit polynesischen Merkmalen gemacht hat.

Während Australien, Kanada und die USA beim Aufbau ihrer anglophonen kapitalistischen Gesellschaften auf die völlige Vernichtung der jeweiligen Ureinwohner setzten, war Neuseeland eine Art chaotischer Kompromiss, der die Wildheit und Widerstandsfähigkeit der Eingeborenen demonstrierte, die den Briten mit Einfallsreichtum und genialen Taktiken Widerstand leisteten. Die Maori gehörten zu den furchterregendsten Gegnern, gegen die das britische Empire im Zuge seiner Kolonialisierungen zu kämpfen hatte, trotz der zahlreichen brutalen Unterwerfungskriege, die vom indischen Subkontinent bis nach Afrika reichten. Obwohl die Maori letztendlich dennoch unter britische Herrschaft kamen und dabei auch leiden mussten, haben ihr Erbe, ihre Bräuche und Traditionen, ihre Sprache und ihr Selbstwertgefühl überlebt. Sie sind in den vergangenen Jahrzehnten sogar aufgeblüht und haben infolgedessen auch die Nachkommen der weißen Siedler beeinflusst.

Selbst wenn es sich nur in kleinen, aber wirkungsvollen Handlungen des Widerstands zeigt, etwa wenn ein Maori-Politiker sich weigert, im Parlament eine Krawatte zu tragen, ist Neuseeland eine "Kompromisskolonie" und gebärdet sich daher nicht so aggressiv wie seine Mitstreiter bei den Five Eyes. Aber auch Geografie und Größe spielen eine Rolle. Als isoliertes Land mit einer Bevölkerung von fünf Millionen Einwohnern, dessen Wirtschaft hauptsächlich auf Agrarexporten basiert, ist die Existenz eines riesigen Landes mit 1,4 Milliarden Menschen in der Nähe für Neuseeland unabdingbar. China braucht Lebensmittel und die Neuseeländer brauchen einen Markt. Große Agrarmärkte zu finden ist nicht so leicht, wie man annehmen würde. Der US-Markt ist militant protektionistisch und will Agrargüter verkaufen und nicht kaufen. Der europäische Markt wird in ähnlicher Weise durch eine gemeinsame Agrarpolitik geschützt, indem die eigenen Landwirte subventioniert werden, während das benachbarte Australien über so viel Ackerland verfügt, dass es nicht darauf angewiesen ist, Lebensmittel aus anderen Ländern zu importieren.

An wen verkauft man also? Man verkauft an das Land, dessen Bevölkerung so groß ist, dass es mit dem Boden, den es zur Verfügung hat, seinen Nahrungsmittelbedarf nicht decken kann – man verkauft an China. Dies beschert Neuseeland einen großen Handelsüberschuss, um genau zu sein über 20 Milliarden US-Dollar, der dem Land Wohlstand ermöglicht. Wenn China aus dieser Gleichung herausgenommen wird, wird es mit Neuseeland schnell bergab gehen. Warum also sollte man die Außenpolitik darauf ausrichten, Peking zu verärgern? Neuseelands geringe Größe macht es anfälliger als Australien, und "Handelsstreitigkeiten", wie sie die aggressive Außenpolitik des australischen Premierministers Scott Morrison hervorbringt, würden nur Schaden anrichten. Australien kann schließlich wichtige Mineralien wie Kohle, Gold und Eisenerz exportieren, auf die China nicht verzichten kann, aber Neuseeland hat keine solchen Trümpfe.

Daher bleibt Wellington geopolitisch sowohl das eigenwilligste als auch das schwächste Mitglied der Five Eyes. Sein Wesen ist von Natur aus weniger aggressiv, weniger von Exzeptionalismus angetrieben, und sein Wirtschaftsmodell erfordert eine enge Zusammenarbeit mit China. Für Peking funktioniert das gut, da es in Neuseeland auch eine Schwachstelle in der amerikanischen Machtprojektion im Pazifik sieht und feststellt, dass es sich bei den fünf Augen eigentlich nur um vier handelt.

Übersetzt aus dem Englischen.

Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.

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