"Aktives Programm im ganzen Land" – USA betreiben in Russland ein illegales Aktivisten-Netz
Der US-Kongress schuf die "gemeinnützige" Organisation National Endowment for Democracy im Jahre 1983 als halbstaatlichen Arm der US-Außenpolitik. Gegründet wurde die "Denkfabrik" vom Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA William J. Casey. Für dessen Ziel der weltweiten Förderung der "liberalen Demokratie" bekommt sie seitdem jährlich ihre Finanzierung aus dem US-Bundeshaushalt, in den letzten Jahren im dreistelligen Millionenbereich.
Von Anfang an stand NED in Verruf, Umsturzversuche weltweit zu organisieren und finanziell zu unterstützen – zunächst in Lateinamerika, später in Osteuropa und im arabischen Raum. "Vieles von dem, was wir heute tun, wurde vor 25 Jahren von der CIA im Geheimen gemacht", sagte der Vordenker und Mitbegründer des NED Allen Weinstein noch im Jahre 1991.
Damals – zur Zeit der Wende, als prosowjetische Regierungen in Ostmitteleuropa und die Sowjet Union selbst zusammenbrachen – wurde ernsthaft diskutiert, ob die Geheimdienste in ihrem üblichen Sinne überhaupt noch nötig seien. Es hieß, Stiftungen wie jene des Finanzspekulanten George Soros würden für das Erreichen der gleichen Ziele wie jener der Geheimdienste ausreichen.
Doch sowohl NATO als auch die Geheimdienste blieben nach dem Ende des Kalten Krieges nicht weniger einflussreich. Im Gegenteil, sie wuchsen weiter. Genauso wie NED und ähnliche Organisationen – wie USAID, Freedom House oder Open Society. Wegen ihrer Beteiligung bei den "farbenfrohen" Revolutionen werden sie in vielen Ländern inzwischen als "unerwünscht" eingestuft, so auch in Russland. Für die Zusammenarbeit mit einer unerwünschten Organisation drohen in Russland kleinere Geldstrafen, in Falle einer aktiven Teilnahme kann jedoch ein Strafverfahren eingeleitet werden.
Obwohl es NED untersagt ist, eigene Büros in Russland zu betreiben, sei der Status einer "verbotenen" Organisation für den US-Fonds kein Problem. Er könne trotzdem ein ausgedehntes Netzwerk von Aktivisten, oppositionellen Gruppen und Medien in Russland finanziell unterstützen und zusammenführen, welches tief in die Regionen hineinreiche. Dazu zähle auch das Nawalny-Netzwerk. Das sagten kein Geringerer als der NED-President Carl Gershman und seine Stellvertreterin für Politik und Strategie Barbara Haig in einer Video-Konferenz. Bei dem Anruf waren sie im Glauben, mit der weißrussischen Ex-Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja und ihrem Stabschef zu sprechen.
Zwei russische Prankster – Wladimir Kusnezow und Alexei Stoljarow, bekannt als Lexus und Wowan – hatten sich als Tichanowskaja und deren Assistent ausgegeben. Sie äußerten den Wunsch, mit der NED-Führung über eine mögliche Unterstützung der weißrussischen Opposition zu sprechen. Gershman und seine Mitarbeiter fielen prompt auf den Telefonstreich herein und trommelten eine Video-Konferenz zusammen, bei der auch mehrere weitere hochrangige NED-Funktionäre beteiligt waren, darunter der Chef aller Auslands-Programme der Stiftung und zwei Kuratorinnen für die Region.
Seit 2014 rufen Kusnezow und Stoljarow regelmäßig reihum bekannte Politiker, Unternehmer und Funktionäre aus den NATO-Staaten und der Ukraine an, um sie zu veräppeln und ihnen dabei das eine oder andere kleinere oder größere Geheimnis zu entlocken. Vor ihrem Wechsel in die Politik waren vor allem Stars des Show-Business "Opfer" ihrer Streiche.
Das Gespräch mit der NED-Führung ist nur schwerlich an Brisanz zu übertreffen. Carl Gershman leitet die umstrittene Organisation seit 1984 und dennoch fiel es den unbekannten Anrufern leicht, ihn und seine Kollegen von ihrer falschen Identität zu überzeugen. Eine Stunde lang durften die NED-Funktionäre in allen Details über ihre Einmischung in die Angelegenheiten Russlands und Weißrusslands plaudern, wobei Kameras auf den Bildschirmen ihrer Anrufer ausgeschaltet blieben.
So sagte Barbara Haig lächelnd, dass es keine Rolle spiele, dass ihre Organisation in Russland verboten sei. "Wir haben keine Büros, wir sind nicht wie Freedom House oder NDI [das National Democratic Institute] und das IRI [International Republican Institute], wir haben keine Büros. Wenn wir also nicht da sind, können sie uns nicht rausschmeißen." Haig ist seit 1985 beim NED tätig.
"Aber wir unterstützen viele, viele Gruppen und wir haben ein sehr, sehr aktives Programm im ganzen Land, und viele der Gruppen haben offensichtlich ihre Partner im Exil", sagte Gershman. "Wir sind also sehr aktiv und können bei diesem Thema (Zusammenführung der russischen und weißrussischen Oppositionellen zu einem gemeinsamen Netzwerk – Anm. des Verf.) sehr hilfreich sein." Er fügte hinzu, dass sie "natürlich" im Kontakt mit Leonid Wolkow seien, dem in Litauen ansässigen "Stab-Chefs" des inhaftierten russischen Oppositionellen Alexei Nawalny.
Die Stellvertreterin von Gershman, Barbara Haig, deutete ebenfalls das mögliche Ausmaß der US-Finanzierung für politische Gruppen an und sagte: "Wir haben ein sehr umfangreiches Programm in Russland", das "sogar bis hinunter zu Basisinitiativen in den Provinzen – Oblasten – außerhalb Moskaus geht. Es ist sehr tief und es ist sehr breit". Es gebe auch verschiedene Medienressourcen und investigative Journalisten, mit denen sie zusammenarbeiten. "Wir sind sehr aktiv und effektiv".
Gershman zufolge sei die neue US-Administration im Hinblick auf die bevorstehenden russischen Duma-Wahlen in September und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 sehr "hilfsbereit". "Sie konzentrieren sich natürlich auf die Duma-Wahlen im September ... Und dann gibt es 2024 extrem wichtige Wahlen ...", sagte er. Er betonte, dass NED die Strategie der Nawalny-Gruppe sehr aufmerksam verfolge. "Wir sind (in Russland) sehr gut involviert."
Beide NED-Chefs drückten ihre Besorgnis über Militärübungen aus, die später in diesem Jahr russische und weißrussische Truppen auf dem Territorium Weißrusslands abhalten wollen, wobei Haig fragte, ob Tichanowskaja die Stationierung des russischen Militärs beobachten und dessen Bewegungen nachverfolgen könne. Sie verwies dabei auch auf investigative journalistische Enthüllungs-Arbeit nach dem Muster von Nawalnys Antikorruptionsfonds und ähnlichen Gruppen. Man könne "analoge Maßnahmen" auch gegen weißrussische Staatsbeame anwenden.
Im Hinblick auf Weißrussland sagte Gershman, dass NED Tichanowskaja oder "ähnliche Leute" als Präsidentin gerne anerkennen würde. Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg. Er betonte, dass NED die "Befreiung" der weißrussischen Nation mit Hilfsprogrammen für Entwicklung der weißrussischen nationalen Identität und Sprache fördere. Er sagte auch, dass NED vier Institute habe, die in Weißrussland sehr aktiv arbeiten. Sie unterstützen "freie Medien", Gewerkschaften und politische Aktivisten und arbeiten ein Programm zur Entwicklung des privaten Sektors in der weißrussischen Wirtschaft nach dem Abgang des Präsidenten Alexander Lukaschenko aus.
Während des Telefongesprächs umriss die NED-Kuratorin für Weißrussland Nina Ognianowa die weitreichenden Programme, die die Agentur in dem Land seit zwei Jahrzehnten finanziert. Ognianowa beaufsichtigt die Arbeit der lokalen Gruppen und Netzwerke, die ihr zufolge in allen Regionen des Landes vertreten sind. Im Hinblick auf die monatelangen Massenproteste gegen mutmaßliche Wahlfälschungen bei Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr sagte sie, dass von diesen Gruppen ausgebildete Leute "die Fahne ergriffen" und die Menschen zur "bürgerlichen Teilnahme" motiviert hätten.
Sie sagte, dass die "so beeindruckende und inspirierende Bewegung" nicht aus dem Nichts kommen konnte und deutete eine nicht unwesentliche Rolle ihrer Organisation bei Organisation der Proteste an. "Und wir haben auf unsere kleine, aber bedeutsame Weise dazu beigetragen, indem wir lokale Akteure befähigt haben, wichtige Arbeit zu leisten."
Ironischerweise betonte Haig, dass Oppositionsgruppen in Russland über angebliche Bemühungen der Behörden besorgt seien, ihre Aktivitäten zu infiltrieren und zu überwachen, und sagte, dass "Sicherheit ein großes Thema ist." Dabei ließen sie und ihre Kollegen sich selbst auf das Gespräch mit Leuten ein, die ihre falsche Identität nur notdürftig verschleiert haben.
Prankster: Jargon wie aus dem Geheimdienst
Einer der Anrufer, Alexei Stoljarow (Lexus), wies später in einem Interview darauf hin, dass die NED-Größen sich im Gespräch unverhüllt des geheimdienstlichen Fachjargons bedienten. "NED wurde in den 1980er Jahren ins Leben gerufen, um Kommunismus zu bekämpfen. Für solche Fälle, wenn es zu anrüchig sein sollte, das Geld direkt von der CIA zu bekommen."
"Stellen sie sich vor, dass eine russische Nichtregierungsorganisation sagen würde, dass sie gerne jene Strukturen finanzieren würde, die die US-Armee beobachten sollten. Wie fiele die Reaktion aus?", fragte er. Wobei NED keine Nichtregierungsorganisation sei, sondern eine Art "Deep State", weil sie unabhängig davon finanziert und kontrolliert werde, welche der beiden großen US-Parteien gerade regiert.
Der andere Anrufer, Wladimir Kusnezow (Wowan) sagte, dass sie sich von dem Gespräch nicht so große Offenheit erhofft hatten. "Der NED-Chef Carl Gershman deckte im Gespräch mit der falschen Tichanowskaja alle Karten auf."
Er merkte noch an, dass die US-Amerikaner am Ende doch noch merkten, dass sie ausgetrickst worden waren. "Zuerst beschwerte sich die falsche Tichanowskaja, dass sie kein Geld für gute Kleindung habe, dann schalteten wir einen Mitschnitt von Lukaschenkos Reden ein und schließlich tauchte ein Mann auf, der sich als KGB-Major vorstellte und sagte, dass alles aufgezeichnet werde und alles, was sie sagten, gegen sie verwendet werden könne", sagte der russische Prankster lächelnd.
Danach klinkten sich die NED-Vertreter aus dem Gespräch aus. Später warnten sie noch andere US-Organisationen vor möglichen Provokationen.
"Wowan" stellte fest, dass es nicht so schwierig war, mit Vertretern der Organisation in Kontakt zu treten. Die Prankster schickten eine offizielle Anfrage per E-Mail und innerhalb von ein oder zwei Wochen wurde ihnen ein konkreter Termin angeboten, mit dem Hinweis, dass sogar die gesamte Geschäftsleitung in das Gespräch einbezogen würde.
Bislang liegt keine Reaktion von den Behörden in Russland oder Weißrussland zu dem Vorfall vor. Möglich ist jedoch eine Verschärfung der bestehenden Gesetze zu "unerwünschten Organisationen". Am Dienstag berichtete ein Duma-Abgeordneter über ein entsprechendes Gesetzesvorhaben. Er zählte 31 solcher Organisationen auf, wobei 20 davon allein aus den USA stammten.
Der Chef der weißrussischen Journalisten-Union sagte in einer Videoansprache, dass die Selbstentlarvung dieser US-Organisation auf den gesamten NGO- und Mediensektor wie die Explosion einer Atombombe gewirkt habe. Er verurteilte die NED-Aktivität als eklatante Einmischung in die Angelegenheiten eines souveränen Staates und des nationalen Mediensektors und als klare Verletzung des belarussischen, des US-amerikanischen und des internationalen Rechts. "Das ist offensichtlicher Beweis für einen Informationskrieg, der gegen Weißrussland entfesselt wurde", sagte er.
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